Diese Seite ist noch im Aufbau aber ... scho jetz git's öppis «Rächts» zum Läse:
Gottgestreift. Geistverbunden
Moni Egger, Dr. Theol.
in FAMA 2/19 S.8-9"
Zusammen mit Marie-Theres Rogger und Katja Wißmiller absolvierte sie die Weiterbildung «SAMT – Systemische Arbeit mit Märchen und Träumen» bei Elisa Hilty.
Als Wissenschaftlerin und Erzählerin sucht Egger immer neue Zugänge zu biblischen Texten. Im Verein BibelErz teilt sie diese Schätze mit anderen.
02
Eine Geschichte aufstellen
Seit drei Tagen üben wir die Aufstellungsarbeit anhand von Märchen. Elisa Hilty leitet uns an. Wir sind ein Dutzend Frauen, Erzählerinnen und Therapeutinnen. In diesem Kursblock geht es um LOSSY, eine Aufstellungsform, bei der die Rollen zugelost werden. Nach dem Hören der Geschichte sammeln wir Figuren, Zustände, Orte, Gefühle, … die darin eine Rolle spielen und wählen entsprechend der Anzahl der mitmachenden Personen aus, welche Rollen gestellt werden. Eine Frau ist Joker. Sie bleibt draussen, schaut zu und betritt die Bühne nur dann, wenn sie merkt, dass sie gebraucht wird. Für unsere Aufstellung von Genesis 3 – die sogenannte Vertreibung aus dem Paradies – haben wir neben dem Joker fünf Rollen zu vergeben: Gott, Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, Mann, Frau, Schlange. Das Los entscheidet, wer welche Rolle stellt. Die älteste Rolle oder das grundlegendste Element betritt als erste(s) die Bühne. Alle anderen folgen ihrem Impuls und fühlen, wann sie dran sind. Kaum je gibt es Zweifel. Auch welcher Platz der richtige ist, ist am Körpergefühl deutlich zu erkennen. Dort gilt es dann auszuharren, bis alle ihre Ausgangsposition gefunden haben und dabei wahrzunehmen, was im Körper vor sich geht, während die anderen ihren Platz einnehmen. Wenn alle auf der Bühne stehen, fragt die Leiterin der Reihe nach alle: "Wie stehst du hier? Was hat sich verändert, als die anderen dazukamen? Wie fühlen sich deine Füsse an? Dein Atem?" Um die meditative Tiefe zu verstärken, paraphrasiert die Leiterin die Antworten: "Der Baum freute sich, als die Schlange sich neben ihn stellte. Er fühlte ein Kribbeln im Rücken. Aber dass der Mann einfach so zwischen Baum und Schlange durchging, war störend." In einer zweiten Runde können Bewegungsimpulse benannt und ausgeführt werden: Blickkontakt herstellen, Distanz finden, Nähe suchen. So verschiebt sich das aufgestellte Bild in kleinsten Schritten. Jede Bewegung löst etwas aus: Aufatmen oder Schweissausbruch, Bedrängung, Herzklopfen, … was immer ein Körper an Regungen bereit hält. So geht das, Verschiebung um Verschiebung, bis irgendwann klar ist, dass das Bild jetzt stimmt.
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Von der Geistkraft berührt
Schon das Aufstellen von Märchen oder Familienkonstellationen ist faszinierend. Da geschieht etwas zwischen Menschen, was kaum erklärbar ist. Ein durch und durch körperliches Verständnis von Situationen und Konstellationen, das sich überindividuell zeigt. Es entsteht etwas Gemeinsames, das weit über Wissen und Bewusstein der Einzelnen hinausgeht. Wenn es nun aber um biblische Geschichten geht, kommt noch eine andere Ebene dazu. Sofern ich davon ausgehe, dass in den Texten der Bibel etwas davon zu erahnen ist, wie Gott sich Menschen zeigt – oder theologisch gesagt: Wenn ich die Bibel als Offenbarung verstehe – dann ist auch jede Bibelarbeit eine Arbeit an und mit Offenbarung. Und so drängt sich im religiösen Kontext die Frage auf: Ist da die heilige Geistkraft am Werk? Diese Kraft, die seit Jahrtausenden gedacht ist als das, was von der Gotteswirklichkeit die Menschen erreicht und sie lebensfähig macht, in Bewegung und in Beziehung bringt, sie einander und Gott zuwendet, ihnen Weisheit beschert.
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Gottoffen werden
Noch deutlicher als in anderer Bibelarbeit wird beim Aufstellen klar, wie sehr ich mich selbst in die biblischen Texte hineinlese. Wie untrennbar mein eigenes Leben, Fühlen, Hoffen, ja, mein Körper, mit dem verbunden ist, was ich aus einem Text herauslese. Gleichzeitig wird dieses Persönliche durch die Gruppe relativiert und in den überpersönlichen Bereich hinausgehoben. Und so erlebe ich diese Aufstellungen zugleich als Gottesoffenbarung und als grosses Geheimnis. Ein Geheimnis, das sich fast ohne Worte zeigt und zu etwas wird, was niemand vorhersagen kann.
Christine Gerber schreibt im Wörterbuch der Feministischen Theologie: "Das griechische Wort pneuma (neutr.), das wir mit 'Geist' übertragen, erfasst die für Menschen auch sinnlich und körperlich erfahrbare Seite des beziehungsstiftenden Wirkens Gottes bzw. Christi."(208). Wenn ich mich als Glaubende in solche biblischen Aufstellungsprozesse hineingebe, erfahre ich genau das: Wie sich die biblischen Tiefen zwischen uns verdichten, uns zueinander in einen Prozess bringen und mich selbst gottgestreift sein und gottoffen werden lassen.
01
Systemische Arbeit mit Bibelgeschichten
Gott schreitet über die Bühne, findet schnell ihren Platz am hinteren Rand, dort, wo die Grenze zur Bühne offen ist. Den Rücken zur Öffnung, den Blick dem Kommenden zugewandt. Der Baum der Erkenntnis stellt sich in die Bühnenmitte. Blickkontakt zu Gott. Die Schlange umrundet die Bühne, stellt sich rechts neben den Baum. Dann lange nichts. Endlich steht der Mann auf, schreitet zwischen Schlange und Baum durch und stellt sich ihnen gegenüber, Gott zugewandt. Wieder lange nichts. Frau? Kommst du? Gott sehnt sich. Endlich! Die Frau steht auf, betritt zielstrebig die Bühne, stellt sich nicht zum Mann, nein, ganz nah zu Gott steht sie hin. Sofort entsteht zwischen den beiden eine fast symbiotische Verbundenheit.
Seit Beginn der Aufstellung ist vielleicht eine Viertelstunde vergangen. Wir sind höchst konzentriert, nehmen unsere Körper wahr, jede Regung. Wie stehen die Füsse, wo gibt es Spannung, wie ist der Atem, wie verändert sich der Blick, wann wird es heiss, wann kalt, wann klopft das Herz? Wie verändert sich die Empfindung, wenn eine Figur spricht oder sich bewegt? Wann meldet sich ein Bewegungsimpuls? Unsere Körper übernehmen die Wahrnehmung und das Denken.
03
Die Rolle fällt mir zu
Mir ist in dieser Aufstellung die Rolle Gott zugefallen. So war ich als erste auf der Bühne und habe "zugefühlt", wie diese sich nach und nach füllte. Eine tiefe Verbundenheit zum Baum, fast eine Art Abhängigkeit von ihm. Zuneigung und freudiges Interesse am Mann, grosse Dankbarkeit für die Aufgabe der Schlange, überschwängliche Freude an der Frau und jeder ihrer Bewegungen. Aber bald versiegt die Energie. Ich fühle sie zwar noch, aber sie scheint bei Frau und Mann nicht anzukommen. Es stockt und geht nicht weiter. Gott steht da, schaut zu und weiss, dass Gott nichts machen kann als eben dies, dasein und zuschauen und mittragen. Es ist die Schlange, die Bewegung bringen muss. Es sind Mann und Frau, die sich bewegen müssen. Minute um Minute verstreicht. Ein für alle schwer auszuhaltender Stillstand. Aber dann: Ich fühle sie noch in mir, diese unbändige Freude, als sich die Frau endlich – endlich (!) – von Gott abwendet und den Baum und die Schlange anschaut. Da bin ich den Tränen nah. Die Frau aber sackt förmlich in sich zusammen, ein Häuflein Elend, völlig verloren. Nun kommt der Joker ins Spiel. Sie stürzt auf die Bühne, weiss noch nicht, welche Rolle sie einnehmen wird, weiss nur, dass die Frau sie braucht. Kaum steht sie bei ihr, ist ihr die Rolle klar: fruchtbare Erde, Ackerboden. Die Frau atmet auf. Und ich mit ihr. Jetzt hat das Bild Boden bekommen und jetzt geht es rasch dem Schlussbild zu. Mit der Erde als Stütze entsteht nun eine Verbindung zwischen Frau und Mann. Die Schlange ist komplett erschöpft, aber sie hat ihre Aufgabe erfüllt. Der Baum ruht als bleibender Anker und schenkt Erkenntnis: den Geschmack vom Leben ausserhalb des göttlichen Gartens. Und Gott freut sich mehr denn je.
04
In den Leib geschrieben
Was geht da vor? Was passiert in und zwischen uns, wenn wir so eine Geschichte stellen? Und was passiert mit der Geschichte? Als Exegetin habe ich mich mit möglichen Bedeutungen gerade dieser Geschichte lange und eingehend beschäftigt. Und stelle verblüfft und beglückt zweierlei fest: Einerseits, dass wir in den Aufstellungen gemeinsam in die Nähe dessen kommen, was auch wissenschaftliche Textauslegung sagt. Es ist also nicht einfach Phantasie, was da entsteht, sondern hat im Spiegel der Texte Hand und Fuss. Andererseits, dass wir in dieser Arbeit weit über das hinauskommen, was wissenschaftlich schon gesagt wurde. Verborgenes wird plötzlich augenfällig. Und es erhält eine Tiefe, die nur erlebt aber nicht geschrieben werden kann. Die Geschichte wird mir gewissermassen in den Leib geschrieben. Nie mehr werde ich die Freude vergessen, die meinen ganzen Körper durchströmte, als sich die Frau endlich von Gott abwendete. Gottesbeziehung allein genügt nicht. Nie mehr werde ich die unendliche Erleichterung vergessen, als die Ackererde dazukam und der Frau die Unterstützung bot, die ich als Gott nicht mehr geben konnte. Viel gelernt habe ich von der Schlange. Auf ihr liegt die Verantwortung, sie ist die Figur, die Bewegung in die Geschichte bringt. Bringen muss. Sie ist die Vermittlerin zwischen den Welten innerhalb und ausserhalb des Gartens. Was die Schlange auf der Bühne fühlte, macht auch biblisch Sinn: Sie wird zu Boden gedrückt von der Last dieser Verantwortung.